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Stress-Beeinflussung
Stress und der Umgang mit Stress
Um das Phänomen Stress besser verstehen zu können, ist zunächst ein Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte des Menschen
sinnvoll.
Im großen Kanon der Lebewesen nehmen wir Menschen einen herausragenden Platz ein. Ein wesentlicher Unterschied zum
Tierreich wird bei der Gattung Mensch (Homo sapiens) deutlich: der Mensch zeichnet sich durch ein sehr viel umfangreicheres
Großhirn aus. Dieser entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil des menschlichen Gehirns ist die Basis für menschliche
Denkvorgänge und damit einhergehende Emotionen. Überspannung (Überstress) entsteht daher beim (Kultur-) Menschen sehr
viel leichter als bei Tieren. Dennoch unterscheiden wir uns in unserer körperlichen Ausstattung stammesgeschichtlich kaum von
anderen hoch entwickelten Lebewesen. Insbesondere in den Bereichen, die eine lebenswichtige Voraussetzung für das
Funktionieren des Lebens darstellen, verfügen Mensch und Tier über ähnliche Mechanismen und Reaktionen. Nach wie vor
verbindet uns mit der Tierwelt die Gemeinsamkeit, dass Teile unseres Gehirns grundlegende Lebensfunktionen aufrechterhalten.
Durch viele autonom (nicht willkürlich) gesteuerte Funktionen des Körpers sind wir in der Lage aktiv mit unserer Umwelt und den
Anforderungen, die das tägliche Leben an uns stellt, zurechtzukommen.
Lebensvorgänge finden zu einem Gleichgewicht, wenn sie sich im stetigen Wechsel zwischen Anregung und Erholung bewegen.
Lebewesen sind durch ihre Sinne (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten, Fühlen, Gleichgewicht halten) empfänglich für
Reize. Reize rufen mit einer bestimmten Stärke körperliche Reaktionen hervor und machen situationsabhängig bestimmtes
Verhalten oder bestimmte Handlungsweisen wahrscheinlicher. Man hat herausgefunden, dass sich Lebewesen bei einem
sogenannten mittleren Reizeinstrom am wohlsten fühlen. Reize, auch Stressoren genannt, können außerhalb des Körpers (aus
der Umwelt) und auch im Körper (Emotionen, Empfindungen,Gedanken) selbst auftreten. Auf den Sinnesreiz folgt ein subjektiver
Sinneseindruck, als Teil der Empfindung. Unmittelbar damit einhergeht die Deutung der Sinnesempfindung. Das geschieht in
Abhängigkeit zu dem, was wir bis dahin erlernt, erlebt und erfahren haben. Aus der Empfindung wird eine Wahrnehmung, die
durch die Lebensgeschichte des einzelnen Menschen sehr persönlich gefärbt (ausgeprägt) ist. Die gelernte Bedeutsamkeit
bestimmt neben allgemein gültigen Bedingungen somit auch die Qualität des Stressors; ist er angenehm oder unangenehm, gar
bedrohlich? Ist die Person in der Lage sich an die Situation anzupassen, sich zurecht zufinden? Ist sie der Herausforderung
gewachsen; fühlt sie sich angestachelt zu einer besonderen Leistung. Geht es darum, das eigene Leben oder das anderer zu
schützen, in Sicherheit zu bringen oder gibt es keinen Ausweg? Macht die Situation hilflos?
Herr Bummel und Gattin sind zu Fuß unterwegs. Der Bürgersteig ist nicht sehr breit und auf der Fahrbahn herrscht viel Verkehr
zur frühabendlichen Spitzenzeit. Plötzlich heult hinter ihnen der Motor eines Autos auf, und das schrille Kreischen von Reifen
signalisiert Gefahr (Stressor). Sofort reißt Herr Bummel seine Frau zur Seite an die sichere Hauswand, und im gleichen Moment
krachen ganz in ihrer Nähe zwei PKW aufeinander. Herr und Frau Bummel schauen sich erschreckt an und sind froh, dass ihnen
nichts passiert ist.
Unter günstigen Bedingungen wirkt ein Stressor mit seiner Bedeutung anregend, fordert zu besonderer Leistung heraus.
Der Körper mobilisiert Energien über durch Hormone gesteuerte Regelmechanismen, um eine gute Leistung erbringen zu können.
Auf der Körperebene kommen die Botschaften eines Stressors zuerst in den zentralen Bereichen unseres Gehirns an. Von dort
wird über Botenstoffe (Hormone) die Nebenniere zur Produktion und Ausschüttung weiterer Botenstoffe (Adrenalin, Nordadrenalin
und Kortisol) angeregt.
Je nach Art der Wahrnehmung und den erforderlichen Fähigkeiten im Umgang mit der Situation kommt es zur notwendigen
Aktivierung im Organismus. Die Arbeitsbedingungen des Nervensystems werden auf die Erfordernisse eingestellt.
Die Aufmerksamkeit, die Konzentration und die Wachsamkeit nehmen zu und verbessern das zielgerichtete Verhalten für die
aktive Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation.
Bestimmte Botenstoffe sorgen für den Anstieg des Blutdrucks und die Zunahme der Herzfrequenz zur Verbesserung des
Transportes von Sauerstoff und Blutzucker über den Blutstrom zu Muskeln und zum Gehirn.
Ein anderer Botenstoff aus den tiefen Schichten des Gehirns (Hypothalamus, Hypophyse), der wie ein Konzertmeister, die
biologischen Anpassungsmechanismen dirigiert, sorgt für die Hemmung der Arbeit des Verdauungssystems. Alles, was den Akt
der Auseinandersetzung einschränken könnte, wird zurückgenommen. Der ganze Organismus ist auf Energiebereitstellung und
Energieverbrauch ausgerichtet, was zeitlich sehr lange aufrechterhalten werden kann. Wir alle kennen Situationen, in denen
Menschen außergewöhnlich lange aktiv sein oder ausharren können, besonders dann, wenn Gefahren das Leben bedrohen.
Ein weiterer Botenstoff nimmt andererseits Einfluss in Richtung des Abklingens von Stressreaktionen, wirkt als “Stressbremse”,
führt den Organismus nach erbrachter Leistung in den Ausgangszustand zurück.
Erholung und Ruhe ermöglichen dem Organismus den Wiederaufbau von Energiereserven und die “Reparatur” nach
entstandenem körperlichen Schaden. So schließt sich der Kreis der lebenswichtigen Mechanismen vom Sympathischen
Nervensystem (Aktivierung, Aufrechterhaltung) zum Parasympathischen Nervensystem (Rückkehr zur Ausgangslage, Erholung).
Ein weiteres wichtiges “Wohlfühlhormon” (Serotonin) kommt ins Spiel.
Es wirkt verhaltens-, aggressions- und impulshemmend, schlaffördernd, antidepressiv und angstlösend. Es unterstützt den
Stoffwechsel, fördert die Organarbeit und die Regulierung des durch vorausgegangene Aktionen beanspruchten Organismus
(H. Reinecker et al., 2003)
Die Betrachtung dieser hoch komplexen, sehr fein abgestimmten Regelprozesse, lässt uns erahnen, wie leistungsfähig unser
Organismus ist. Aber wir können vielleicht auch erkennen, dass wir häufig leichtfertig und unachtsam mit dem wertvollen Gut, das
unser Körper darstellt, umgehen.
Es ist wieder einmal so, wie häufig. Herr Kaufmann sitzt genervt in seinem PKW und schlägt laut zeternd auf das Lenkrad ein.
Die Ampel will einfach nicht auf grün springen. Er ist viel zu spät losgefahren und muss doch pünktlich zu einem wichtigen
Kundentermin. Die benötigte Anfahrtszeit wäre selbst bei freier Strecke viel zu kurz angesetzt. Herr Kaufmann hat wieder diesen
verspannten Rücken und dieses unangenehme Gefühl in der Magengegend.
Unsere körperlichen und psychischen Fehlhaltungen und Nachlässigkeiten führen zur Nichtbeachtung notwendiger Veränderungen
bei der Handhabung von Gegebenheiten des Alltags. Der häufig unangemessene Umgang und die vernachlässigte “Pflege” des
Organismus, führt mit mehr oder weniger Verzögerung zuweilen zu tiefgreifender Schädigung. Aufmerksam werden wir häufig erst
dann, wenn die Auswirkung von zu lange anhaltendem Überstress unseren Handlungsspielraum einschränkt oder gar zu
ernstzunehmenden Störungen und Erkrankungen führt. Wir müssen uns möglicherweise eingestehen, dass wir unzureichend
Wissen und Können (Kompetenz) im Umgang mit (Über-) Stress aufweisen.
Jede Erkenntnis gestattet uns grundsätzlich, nach Wegen zur Verbesserung Ausschau zu halten.
Stresskompetentes Verhalten zeichnet sich durch vielfältige und weitreichende Fertigkeiten und Umgangsformen mit
unerwünschten Ausprägungen von Stresserfahrungen aus. Nicht nur der Umgang mit akuten Stressereignissen (Stressoren) und
die damit verbundenen psychischen und organismischen Stresszustände wollen betrachtet werden, sondern auch und gerade der
Umgang mit sich selbst im Stressvorfeld, zur Verhütung von Schädigung. Nicht zu vergessen sind jene Fähigkeiten, die für Phasen der Erholung und des Ausgleichs nach erlebtem und vielleicht als
unausweichlich bewerteten Überstress, sorgen. Nach bereits erfolgter Stressschädigung im biologischen, psychischen und
sozialen System gilt es Wege zur Veränderung und Gesundung, planvoll zu verfolgen.
Multimodale Stresskompetenz – Ein Training zur Selbstregulation
Als ein gut strukturiertes Angebot zur Erweiterung bereits vorhandener und zum Erwerb neuer Stresskompetenz bietet sich das
Training “Multimodale Stresskompetenz” (MMSK) an (W.-U. Scholz, Th. Welker, A. Kruse, R. Mathesius & B.M. Müller, 2002).
Das neu entwickelte Trainingskonzept baut auf älteren Programmen zur Stressbeeinflussung auf (G. Kaluza, & H.-D. Basler, 1991)
und bezieht Weiterentwicklungen der Kognitiven Verhaltenstherapie (W.-U. Scholz, 2001) in das Stressmanagement ein.
Die erwähnte Vielfältigkeit bezüglich angemessener Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit akuten Stressereignissen,
psychischen und organismischen Stresszuständen, wie auch die Gestaltung des Stressvorfelds und die Behandlung der
Stressfolgen finden in ausgewählten Trainingselementen ihre Umsetzung.
Formal umfasst das Training multimodaler Stresskompetenz die Vermittlung von Wissen über die, mit dem Stressgeschehen
verbundenen psychischen, körperlichen und sozialen Prozesse. Das Training unterstützt das Erkennen stressbezogener Anteile
in der eigenen Person und in der Umgebung. Es fördert die Fähigkeit zur Überprüfung und Aufschlüsselung der durch Überstress
verursachten Auffälligkeiten. Angeregt und erlernt werden Vorgehensweisen und Fertigkeiten zur Regulierung von biologischem,
psychischem und sozialem Stressgeschehen (Problemlösung, Um- und Neubewertung von Denkmustern, Spannungsausgleich,
Genießen, Gestaltung sozialer Beziehungen u.ä.).
Eingeübt werden Fertigkeiten (mentale Techniken, Techniken der Selbstregulation und Motivierung) zur Förderung biologischer,
psychischer und sozialer Stabilität und zur person- und situationsangemessenen (Selbst-) Regulierung von Stresserleben
und –belastung.
Frau Kluge nimmt seit einigen Wochen am MMSK-Training teil. Sie ist eine berufstätige, alleinerziehende Mutter von zwei
schulpflichtigen Kindern. Seitdem sie die Wochentage gut durchstrukturiert und mit Zeitpuffern geplant hat, kommt sie viel
zufriedener durch die Woche. Der Sonntag wird zunehmend zu einem echten Freizeittag, an dem Zeit für gemeinsame Aktivitäten
mit den Kindern, aber auch für sie selbst eingerichtet ist. Sie betrachtet alltägliche und außergewöhnliche Probleme auf eine für
sie neue Art. Sie erkennt sich selbst deutlicher und berücksichtigt sich mehr in ihren Bedürfnissen und Grenzen. Die früher
besonders am Wochenende auftretenden Kopfschmerzen sind am letzten Wochenende ausgeblieben. Sie hat ihr bereits früher
erlerntes Entspannungsverfahren aufgefrischt und führt es nun täglich durch.
Ein besonders wichtiger Bestandteil des Trainings Multimodaler Stresskompetenz betrifft das intensive dem Einüben eines
bewährten Entspannungsverfahrens wie Autogenes Training oder Progressive Entspannung (D. Ohm, 1997; D. Ohm, 2000;
H. Brenner, 2002a u. b). Außerdem wird behutsam an das Einüben von sanften Bewegungsformen (W.-U. Scholz, 2003)
herangeführt. Die Lenkung der Aufmerksamkeit zum Körper und die achtsame Arbeit mit dem Körper verhilft zu größerer
Geschmeidigkeit und lässt Raum zum Entspannen und Lösen körperlicher und psychischer Verspannungen und Verkrampfungen.
Die in diesem Prozess bewusst zu erfahrenden Möglichkeiten und Stärken des leibhaftig wohligen Genießens, sind sowohl
jüngeren als auch älteren Menschen zugänglich. Sanfte Körperarbeit birgt praktisch keine Gesundheitsrisiken gegenüber den
meisten üblichen Freizeitsportarten.
Das Training Multimodaler Stresskompetenz kann sowohl in Gruppen von ca. 6-12 TeilnehmerInnen als auch auf den einzelnen
zugeschnitten, gestaltet werden. Speziell angepasste Angebote können Teilnehmergruppen mit ganz bestimmten Bedürfnissen
zugute kommen oder auf spezifische Stresssituationen ausgerichtet werden. Sowohl das Trainingsverfahren, wie auch die Art der
Vermittlung ermöglicht auf der Grundlage moderner Erwachsenenbildung ein stressreduziertes Lernen.
Die Konzeption des Trainings multimodaler Stresskompetenz wurde über mehrere Jahre in verschiedenen Ausgangsbedingungen
und mit unterschiedlichen Teilnehmerkreisen in der öffentlichen, betrieblichen und überbetrieblichen Weiterbildung und
Gesundheitsförderung erprobt.
Das Verfahren erfüllt die Kriterien der Methoden im Bereich “Stressreduktion / Entspannung”, welche als sogenannter “Leitfaden”
durch gemeinsamen Beschluss der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen festgelegt wurde. Multimodale
Stresskompetenz und andere Stressbeeinflussungs-Programme (W.-U. Scholz et al., 2002; G. Kaluza, & H.-D. Basler, 1991) wird
als leitfadenkonform und empfehlenswert beurteilt (vgl. AOK-Bundesverband, 2002).
Die Durchführung des Trainings Multimodale Stresskompetenz durch qualifizierte Kursleiter der Psychologische Fachgruppe
Entspannungsverfahren wird unter anderen von der IKK-Nordrhein als unterstützenswert im Rahmen der Gesundheitsvorsorge
anerkannt.
Literaturhinweise
AOK-Bundesverband (Hrsg.) (2002). Stresshandbuch (in der Fassung vom 1.2.2002).
Brenner, H. (2002a): Autogenes Training – Der Weg zur inneren Ruhe. Pabst Publishers, Lengerich.
Brenner, H. (2002b): Progressives Entspannungstraining. Pabst Publishers, Lengerich.
Kaluza, G. & Basler, H.-D. (1991): Gelassen und sicher im Stress – ein Trainingsprogramm zur Verbesserung des Umgangs mit
alltäglichen Belastungen. Springer, Berlin.
Ohm, D. (1997): Progressive Relaxation. Trias Stuttgart.
Ohm, D. (2000): Progressive Relaxation für Kids. Trias, Stuttgart.
Reinecker, H., Hrsg. (2003): Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie, Kap.4, 62-69. Hogrefe-Verlag, Göttingen.
Scholz, W.-U. (2001): Weiterentwicklung in der Kognitiven Verhaltenstherapie. Konzepte – Methoden – Beispiele. Stuttgart: Pfeiffer
bei Klett-Cotta
Scholz, W.-U. (2003): Tai Chi (Taiji) und Qigong im multimodalen Stressmanagement, Entspannungsverfahren, 20, 62-96.
Scholz, W.-U., Welker, T., Kruse, A., Mathesius, R. & Müller, B.M. (2002). Multimodale Stresskompetenz, Entspannungsverfahren,
19, 72-76.
Die genannte Fachzeitschrift Entspannungsverfahren ist zum Preis von € 12,- plus Versandkosten über die Geschäftsstelle der
Psychologischen Fachgruppe Entspannungsverfahren zu beziehen.
(Siehe auch in: Dipl.-Psych. Elisabeth Westhoff: Multimodale Stresskompetenz. Merkblatt Nr. 11,
Informationen der Psychologischen Fachgruppe Entspannung: in der Sektion Klinische Psychologie des BDP e.V.
Das Merkblatt kann dem Internet unter www.entspannungsverfahren.com entnommen werden.)